Sehnsuchtsland Italien

Italien schlägt bereits seit Jahrhunderten Reisende in seinen Bann. Heute schicken wir als Andenken Postkarten an die Daheimgebliebenen oder schießen zur Erinnerung Selfies vor berühmten Bauwerken. Die Touristen des 19. Jahrhunderts brachten kostbare Fotografien oder gleich ganze Alben aus "Bella Italia" mit nach Hause. Ein spannender Einblick in die Geschichte der Fotografie und des Reisens.

Goethe in Arkadien

Reiseberichte waren im 18. Jahrhundert en vogue. Selbst der Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe gönnte sich von September 1786 bis Mai 1788 eine Auszeit vom allzu reglementierten Weimarer Hof. Er reiste nach Italien. Hier fand er einen neuen Lebensquell / Lifestyle und arbeitete an neuen dichterischen Formen. Goethe hielt neben Tagebuchaufzeichnungen auch durch seine eigenen Zeichnungen visuelle Erinnerungen fest. Diese dienten ihm als eine Art fotografisches Gedächtnis. Wäre bereits die Fotografie zu diesem Zeitpunkt erfunden gewesen, hätte sich höchstwahrscheinlich Goethe einer Kamera bedient, um sein künstlerisches und architektonisches Hauptinteresse an der Antike in Bildern wiederzugeben.

Der Leitspruch seiner Reise „Auch ich in Arkadien!“ geht auf Generationen von Literaten zurück, die vor ihm die bukolische Dichtung von Arkadien als einen idyllischen Landschaftsraum gepriesen haben, in dem die Menschen als glückliche Hirten lebten und sich im Einklang mit der Natur ganz der Muße, der Liebe, der Dichtung und Musik hingaben. Der Ort wurde zum Symbol für ein Goldenes Zeitalter, wo der Mensch friedvoll mit der Natur und den Künsten in Harmonie lebte. Italien wurde zum Topos eines Sehnsuchtsortes, dem Goethe durch seine Italienreise und in seinem Mignon-Gedicht ein Denkmal gesetzt hat: Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn.

Erste Reisefotografien

Mit der Kommerzialisierung der Reisefotografie in den Touristenzentren Mitte des 19. Jahrhunderts waren Fotos vor der Postkarten-Ära und den heutigen Selfies das begehrte Sammelgut, um den daheimgebliebenen Freunden stolz bei Soireen seine Weltreisen wie in einem fotografischen Tagebuch zu präsentieren. Italien – dem Sehnsuchtsland der Dichter und Künstler – statteten die Mannheimer Geschwister Anna und Carl Reiß gleich mehrere Besuche ab. Neben der ewigen Stadt Rom und Florenz als Wiege der Renaissance führte sie ihr Weg in die Lagunenstadt Venedig mit seinen Palazzi und Plätzen. Rare handkolorierte Aufnahmen von Neapel sind eine eindrucksvolle Vorwegnahme der späteren Farbfotografie.

Italien wurde zum Reisemagnet und wurde von Dichtern, Musikern, Philosophen hymnisch besungen:

„Wenn ich ein anderes Wort für Musik suche, so finde ich immer nur das Wort Venedig.“
Friedrich Nietzsche (1844 - 1900)

„O! Venedig, Venedig! Welch tiefer Zauber ist für mich in diesen Lagunen…“.
Franz Liszt (1811 - 1886)

„Der Schöpfer hat Italien nach Entwürfen von Michelangelo gemacht.“
Mark Twain (1835 - 1910)


Prächtiges Fotoalbum aus dem Besitz von Hermann Billing

Eine andere Form der Präsentation der erworbenen Fotos waren die gebundenen Fotoalben mit geschnitztem Ledereinband wie das Fotoalbum aus dem Besitz von Hermann Billing (1867–1946) – Architekt und Erbauers der Kunsthalle Mannheim. Das Fotoalbum enthält Aufnahmen wie Städteansichten, Kirchen, Plätze, Landschaften, Personen, Kunstwerke, Skulpturen und reproduzierte Gemälde. Die Aufnahmen stammen von Giorgio Sommer, einem der führenden Italienfotografen jener Zeit.

Die Städte zeigen im Fotoalbum den geografischen Reiseverlauf von Oberitalien ab Mailand bis Süditalien nach Sizilien. Aufgrund der längeren Belichtungszeiten erscheinen die sonst belebten Plätze verwaist, da sich die Formen des Körpers durch die Bewegungen der Menschen gänzlich auflösen. Bei leicht bewegten Figuren erscheinen die Konturen verwischt, so dass man von Phantomfiguren spricht. Um die eindrucksvollen Größenverhältnisse von Bauwerken zu zeigen, wurden gerne sogenannte Staffagefiguren als Größenmaßstab in einer ruhenden Position eingesetzt.

Mit zahlreichen Fotografien zu Katastrophen und Vulkanausbrüchen schrieb Giorgio Sommer Zeitgeschichte. Er dokumentierte den Ausbruch des Vesuvs am 26. April 1872 nachmittags, gesehen von Neapel aus. Auf den Glasplatten hielt er das Geschehen mit Datum und die verschiedenen Uhrzeiten fest. Diese Daten sind für die Wissenschaft und für die Vulkanologie von größter Bedeutung, um den Eruptionsverlauf besser zu verstehen.

Neugierig geworden?

Mehr über die Sammlung historischer Reisefotografien erfahren Sie auf den Seiten des Forums Internationale Photographie.

Das Fotoalbum von Hermann Billing sowie weitere ausgewählte Reisefotografien aus dem 19. und 20. Jahrhundert waren zuletzt in der Sonderausstellung "In 80 Bildern um die Welt"zu bewundern. Sie können die Schau auch jetzt noch bei einem 360-Grad-Rundgang online erkunden. Außerdem gibt es Videos und Audio-Podcasts mit den beiden Kuratoren. Hier geht es zu den digitalen Angeboten.

Zur Schau ist auch ein reich bebilderter Katalog erschienen.